Jakobsweg

Es ist Zeit ein neues Kapitel aufzuschlagen oder besser eine neue Seite. Da sich Heinz im Sommer 2001 auf den Jakobsweg begeben hat, gibt es hier einen Bericht und Links zum Thema.

Jakobsweb.de.vu
Eine sehr umfangreiche Seite zum Thema mit einer Karte der historischen Wege und noch mehr Links.

Xacobeo.es
Eine spanische Seite über den Weg (auch in deutscher Fassung).

 Heinz der Pilger – 2500 km zu Fuss
von Alfter nach Santiago de Compostela

 

Schon im 10. Jahrhundert pilgerten Könige, Bettler, Heilige, Kriminelle, Mönche, Bauern und Adel in Scharen zum Jakobsgrab ins nordwest-spanische Santiago de Compostela. Es entstand ein einzigartiges europäisches Wegenetz, das Kunst und Kultur, Wirtschaft und Handel unseres Kontinents geprägt hat.

 Seit einigen Jahren erlebt der Jakobsweg eine Renaissance. Menschen aus aller Herren Länder wandern, pilgern, biken, reiten auf diesem Weg, schlafen in Herbergen, in Etagenbetten, auf dem Fussboden, auf Matratzen und Iso-Matten und sind von solchem Tun begeistert.

In erwartungsvoller Stimmung verabschiede ich mich am 24. Juni – Johannistag und Mutter´s 100. Geburtstag – von meinen Lieben und gehe mit 12 kg im Rucksack und versehen mit dem Pilgersegen von Pfarrer Weitz Richtung Eifel. Michelsberg, Blankenheim, Dudeldorf, Kyllburg, das sind einige Stationen auf denen ich in 7 Tagen Trier erreiche. Mit der Jakobsmuschel am Rucksack finde ich überall preiswerte Quartiere in Gasthöfen und Klöstern.

Ganz bewusst ist meine Entscheidung, den Weg allein zu gehen, d.h. ich bin völlig flexibel und kann jederzeit selbst über Startzeit, Streckenlänge, Pausen, Streckenverlauf und Tagessziele entscheiden. So sind denn die ersten 1000 km über Metz, Toul, Langres, Dijon, Cluny bis Le Puy ein Alleingang im wahrsten Sinne des Wortes. Das Netz der Jakobswege ist hier so verzweigt, dass ich kaum hoffen kann, „Kollegen-(innen)“ zu treffen. Erst ab Mittelfrankreich konzentriert sich der Weg auf 4 Routen und in Spanien ist es nur noch ein Weg, der Camino. Im Alleingang nehme ich auch sehr intensiv die Signale des Körpers wahr und kann rechtzeitig vorbeugen gegen Blasen an den Füssen, Ermüdungen der Beinmuskulatur, Rückenproblemen etc.

Was bleibt zu berichten von diesem Streckenabschnitt? Faszinierend ist die Schönheit von Natur und Kultur, von Kirchen und Klöstern. Zwei Wochen Regen werden zum Härtetest, aber die Leute in den vielen kleinen Dörfern feuern mich immer wieder an:“ Bonne Route! – Bon Courage!“ – das tut so gut wie Sonnenschein. Zwischen Cluny und Le Puy mit Pässen bis 1400 m hoch muss ich mir eine neue Route suchen, weil der grosse Orkan von 1999 den Jakobsweg unpassierbar gemacht hat. Und da ist noch die Bourgogne: Da wird der Pilger zum Gourmet.

Ab Le Puy bin ich auf einem der vier grossen Jakobswege in Frankreich und jetzt ist er da, der Strom von Wanderern und Pilgern aus aller Herren Länder. Klar, die meisten gehen wegen ihres begrenzten Urlaubs Teilstrecken, z.B. jedes Jahr ein Stück von zwei, drei oder vier Wochen. In den Herbergen herrscht oft Platzmangel, Schlafsack und Iso-Matte kommen immer wieder zu Einsatz. Aber das tut der grossartigen Stimmung keinen Abbruch. Ob als Wanderer, Radfahrer oder Reiter – einige auch als Läufer – unterwegs, die Besonderheiten des Jakobsweges sind eben die Begeisterung, Gelassenheit, Hilfsbereitschaft und ein Wirrwar von Sprachen, die jeder irgendwie versteht.

 Ein Ehepaar ist mit drei Kindern zwischen 10 und 13 Jahren und zwei Eseln auf dem Weg, ein Esel beladen mit Gepäck, auf dem anderen der behinderte Junge. Baltasar, Kontrabassist im Symphonieorchester Balear, läuft fröhlich in Sandalen und ist in den Herbergen der Spassmacher. Miriam und Chris sind nach ihrem Schulabschluss am 1. Mai in Maastricht losgelaufen, sie haben Zeit bis November. Eine Mutter und Tochter aus Tasmanien sind wahre Konditionswunder auf der Strecke. Viele Brasilianer haben den Bestseller eines Landsmanns über den Jakobsweg gelesen und sich spontan auf den Weg gemacht.

Von Le Puy über das Massif Central – die raue Schönheit – bis zu den Pyrenäen geht es durch die einsamsten Regionen Europas – endlos. Die Berge fordern jede Menge Kondition. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Geld muss gut geplant sein. Eine Hitzewelle bringt fast 3 Wochen Temperaturen von über 40 Grad. Die Begeisterung bleibt, aber in den Gesichtern prägen sich die Strapazen ein. Viele starten schon um 4 oder 5 Uhr, abends in der Pilgermesse fallen dann die Augen schon mal zu.

Am letzten Tag im August überquere ich nach einem Wettersturz im dichten Nebel und Regen die Pyrenäen. Mit Regis aus Lille, Ex-Chef der französischen Pfadfinder, überwinde ich locker die 1100 m Höhendifferenz und erreiche nach 26 km Roncesvalles, den ersten spanischen Ort. Hier beginnt der Camino de Santiago, neue Gesichter sind im Refugio, Yp aus Norwegen, Lorenzo aus Mailand, Alix aus Paris raucht Pfeife, Janine, Gabi und Joachim aus Deutschland. Jetzt führt nur noch dieser eine Weg nach ca. 800 km zum Ziel, der Strom der Menschen auf dem Weg nimmt deutlich zu.

Die Städte und Dörfer am Camino sind auf diesen jährlich stark wachsenden Strom von Wanderen und Pilgern gut eingestellt, auch für Pferde und Esel gibt es überall Futterstellen. Wenn die Herbergen voll sind, kann man hier trotzdem duschen, Wäsche waschen oder kochen und in nahen Garagen, Turnhallen oder Kirchen schlafen. In den Restaurants werden kalorienreiche Menu Peregrino angeboten, Wein inklusive. Auch Hotels und Hostals sind sehr preiswert, wenn man den permanenten Schnarchern in den Herbergen entfliehen will. In Mansilla de las Mulas, kurz von Leon, wollen alle in die Herberge. Hier ist Wolf Schneider der Chef (Hospitalero). Weshalb ich das erwähne? Er ist ein echter Alfterer und hat einen besonderen Ruf als Wunderheiler, der die Fusskranken und die Lahmen wieder auf den Weg bringt.

Nach meiner Einschätzung haben von denen, die zu Fuss unterwegs sind, rd. ein Drittel vorzeitig aufgeben müssen: zu schweres Gepäck, Überanstrengung in Gruppen, wo der Stärkerer  oft unbewusst den Ton angibt, oder man einfach nicht auf die Signale des Körpers achtet, die Ernährung; niemals vorher habe ich derartige Mengen von Spaghetti gegessen. Da ist viel Unerfahrenheit unterwegs und wenig Bereitschaft, mal einen Tag Pause zu machen. Die Herbergen sehen gelegentlich wie Lazarette aus. Ich habe neben meinen Wanderstiefeln meine Laufschuhe im Gepäck, der rechtzeitige Schuhwechsel erspart mir jegliche Blase an den Füssen.

Welche Distanzen mache ich pro Tag? 2500 km in 99 Tagen ist die Statistik. Drei Tage habe ich völlig pausiert, sog. Kulturtage. Dann waren es öfter 40 bis 45 km und ein bisschen mehr, oder nur 15 km, um für das Besichtungsprogramm an schönen Orten noch frisch zu sein; oder ich habe nach gutem Mittagessen mit Wein inclusive den „Absprung“ nicht mehr geschafft. Flexibilität ist eben alles, was sich natürlich als Pensionär (auf spanisch: Jubilado) sehr leicht dahersagt.

Über Pamplona, Burgos, Leon, Astorga, durch die endlos flache Meseta ohne jeden Baum oder Strauch und über einige schweisstreibende Gebirgspässe erreiche ich mein Ziel, Santiago de Compostela, am 30. September. Mit mir trifft Martin, ein Berliner, mit seiner Hündin Suse ein, die nach 800 km Camino nur noch auf drei Beinen läuft. Um 12 Uhr, zur großen Pilgermesse, sind schon über hundert eingetroffen, die mit ihren Rucksäcken und Pilgerstäben vorn in der Cathedrale ein beeindruckendes Bild abgeben – alle kennen sich vom Weg. Die Feier über den Rest des Tages bis in die Nacht ist grossartig. Gunhild, Ordensschwester aus Münster, kämpft an vorderster Front; sie will partout jeden Pilger, der heute einläuft in ihre Arme schließen. Lorenzo muss wohl in Mailand eine riesige Verwandtschaft zurückgelassen haben, er schreibt unentwegt Postkarten. Leo, ein Journalist aus Hongkong, ist restlos glücklich, denn er hat reichlich Stoff für seine Geschichte über den Camino. Christianne aus Paris quält sich irgendwann auf ihren Stöcken ins nächste Krankenhaus. Sie hat es geschafft, ist glücklich wie Leo, nur ihre Füsse sind restlos kaputt. Und da liegt mir Jo, der pilgernde Holländer, plötzlich in den Armen. Er war, wie ich, zu Hause losgelaufen, in Frankreich waren wir beiden eine Zeit zusammen auf dem Weg und jetzt das Wiedersehen.

Am nächsten Morgen, nach 100 Tagen, betaste ich nicht zuerst meine Beine, wie an den 99 Tagen vorher, sondern meinen Kopf, aber so etwas heilt ja schnell. Und schon bald gehen mir die Millionen Pilger des Mittelalters durch den Kopf, die jetzt den  langen Weg zu Fuss in die Heimat vor sich hätten – da wird es dann irgendwie unvorstellbar. Mit der Bahn geht das heute ganz bequem in zwei Tagen, Jo war bis Aachen dabei.

Jede meiner vielen Tagesetappen habe ich jeweils lieben Verwandten und/oder Freunden geschenkt; ich denke alle haben eine Pilgerkerze bekommen oder einen Stein an einem der ungezählten Wegkreuze; letzteres war schon im Mittelalter guter Brauch bei den Jakobspilgern. Auf einem der Wegkreuze in der Einsamkeit der spanischen Meseta stand geschrieben: „El camino es el amor que nos eleva hacia el universo“ („der Weg ist die Liebe, die uns ins Universum erhebt“).

Dr. Heinz Sandhäger

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